Mittwoch, 22. August 2012

Ein Hort der Kraft – die Kathedrale von Chartres

Es war ein warmer Frühlingstag vor beinahe 18 Jahren. Mein damaliger Liebster und ich hatten uns einen Paris-Urlaub gegönnt. Paris, die Stadt der Liebe und der Kathedralen. Besonders die gotischen Kirchen hatten es mir angetan. Nahm doch die europäische Gotik, wie nachzulesen war, in Frankreich in St. Denis und Chartres ihren Anfang. Louis Charpentier schreibt in seinem Buch, dass die „Notre-Dame“-Kathedralen von Bayeux, Rouen, Amiens, Laon, Reims, Paris, Chartres und Evreux das Sternbild der Jungfrau bilden. Notre-Dame in Paris hatte ich natürlich gesehen und war tief beeindruckt von der Baukunst und der besonderen Ausstrahlung dieses Bauwerks. Als weiteres Highlight stand nun noch die Kathedrale von Chartres auf meinem Besichtigungsprogramm. Chartres liegt ca. 100 km entfernt von Paris und wir fuhren mit dem Zug dort hin. Nach Lektüre des Buches von Charpentier war ich sehr gespannt, was ich dort vorfinden würde. Hieß es doch, die Kathedrale sei an einem sogenannten Ort der Kraft errichtet, an dem schon in vorchristlicher, keltischer Zeit ein bedeutendes druidisches Heiligtum gestanden haben soll. Auch hätte es dort einen Brunnen und Dolmen (also rituellen riesigen Steintisch) gegeben. Ferner befänden sich architektonische Feinheiten in der Kirche und die Zusammensetzung der Glasfenster wär ebenso unbekannt, wie der Baumeister der Kirche. Zudem hatten wohl die Templer beim Bau der Kathedralen ihre Hand im Spiel und man spekulierte sogar, dass sie mit dem sogenannten „Heiligen Gral“ in Verbindung standen. Affin für alles Mystische und die Helden- und Rittersagen des Mittelalters interessierte ich mich also sehr, was sich dort als Wahrheit oder Legende herausstellen würde.

Vom Bahnhof aus mussten wir einen leichten Hügel erklimmen und dann standen wir vor der Kathedrale. Schnell betraten wir das Gebäude, denn die Sonne schien heiß vom Himmel und die Kühle des Inneren lockte. Leider war das berühmte Labyrinth mit Bänken zugestellt, aber das war mir in diesem Moment egal. Mir schien, ich würde beim Betreten der Kirche von einer besonderen Kraft erfasst. Ich spürte, wie es von den Füßen an in mir hochstieg und sich im Kopf als ein unbeschreibliches Glücksgefühl manifestierte. Ganz langsam ging ich durch die Kirche, besah das kleine Loch, das der unbekannte Glaser vor rund 800 Jahren im Buntglasfenster gelassen hatte und durch das zur Sommersonnenwende ein Lichtstrahl auf einen kleinen Messingnagel trifft, der in den Boden eingelassen ist. Diese wunderschönen Fenster! Der keltische Brunnen und die sogenannte „Schwarze Madonna“ befinden sich in der Krypta der Kirche, die wir leider nicht besichtigen durften. Aber das war auch nicht nötig. Ich setzte mich still in eine der Kirchenbänke und ließ die Umgebung auf mich wirken. Zeit schien keine Rolle zu spielen. Ich fühlte mich eins mit dem Gebäude, der Zeit und dem Universum. Und meinem Partner ging es genauso. Nach einigen Stunden rissen wir uns mühsam los, denn wir mussten zum Bahnhof zurück. Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Kirchen besichtigt, wer mich kennt weiß, dass ich an keiner offenen Kirchentür vorbeigehen kann, aber so etwas ist mir nie vorher und auch danach nie wieder geschehen. Was war es aber? Nur ein Gefühl, aus der Sonne in die Kühle der Kirche zu treten? Hatte mich dort etwas Göttliches berührt? Oder war es nur Einbildung, weil ich zuvor zu viel darüber gelesen hatte? Ich weiß es nicht. Für mich ist und bleibt die Kathedrale von Chartres aber etwas ganz Besonderes, ein Hort der Kraft.

Die Kathedrale von Chartres

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