Es war ein warmer Frühlingstag vor beinahe 18 Jahren. Mein damaliger
Liebster und ich hatten uns einen Paris-Urlaub gegönnt. Paris, die Stadt
der Liebe und der Kathedralen. Besonders die gotischen Kirchen hatten
es mir angetan. Nahm doch die europäische Gotik, wie nachzulesen war, in
Frankreich in St. Denis und Chartres ihren Anfang. Louis Charpentier
schreibt in seinem Buch, dass die „Notre-Dame“-Kathedralen von Bayeux,
Rouen, Amiens, Laon, Reims, Paris, Chartres und Evreux das Sternbild der
Jungfrau bilden. Notre-Dame in Paris hatte
ich natürlich gesehen und war tief beeindruckt von der Baukunst und der
besonderen Ausstrahlung dieses Bauwerks. Als weiteres Highlight stand
nun noch die Kathedrale von Chartres auf meinem Besichtigungsprogramm.
Chartres liegt ca. 100 km entfernt von Paris und wir fuhren mit dem Zug
dort hin. Nach Lektüre des Buches von Charpentier war ich sehr gespannt,
was ich dort vorfinden würde. Hieß es doch, die Kathedrale sei an einem
sogenannten Ort der Kraft errichtet, an dem schon in vorchristlicher,
keltischer Zeit ein bedeutendes druidisches Heiligtum gestanden haben
soll. Auch hätte es dort einen Brunnen und Dolmen (also rituellen
riesigen Steintisch) gegeben. Ferner befänden sich architektonische
Feinheiten in der Kirche und die Zusammensetzung der Glasfenster wär
ebenso unbekannt, wie der Baumeister der Kirche. Zudem hatten wohl die
Templer beim Bau der Kathedralen ihre Hand im Spiel und man spekulierte
sogar, dass sie mit dem sogenannten „Heiligen Gral“ in Verbindung
standen. Affin für alles Mystische und die Helden- und Rittersagen des
Mittelalters interessierte ich mich also sehr, was sich dort als
Wahrheit oder Legende herausstellen würde.
Vom Bahnhof aus mussten wir einen leichten Hügel erklimmen und dann
standen wir vor der Kathedrale. Schnell betraten wir das Gebäude, denn
die Sonne schien heiß vom Himmel und die Kühle des Inneren lockte.
Leider war das berühmte Labyrinth mit Bänken zugestellt, aber das war
mir in diesem Moment egal. Mir schien, ich würde beim Betreten der
Kirche von einer besonderen Kraft erfasst. Ich spürte, wie es von den
Füßen an in mir hochstieg und sich im Kopf als ein unbeschreibliches
Glücksgefühl manifestierte. Ganz langsam ging ich durch die Kirche,
besah das kleine Loch, das der unbekannte Glaser vor rund 800 Jahren im
Buntglasfenster gelassen hatte und durch das zur Sommersonnenwende ein
Lichtstrahl auf einen kleinen Messingnagel trifft, der in den Boden
eingelassen ist. Diese wunderschönen Fenster! Der keltische Brunnen und
die sogenannte „Schwarze Madonna“ befinden sich in der Krypta der
Kirche, die wir leider nicht besichtigen durften. Aber das war auch
nicht nötig. Ich setzte mich still in eine der Kirchenbänke und ließ die
Umgebung auf mich wirken. Zeit schien keine Rolle zu spielen. Ich
fühlte mich eins mit dem Gebäude, der Zeit und dem Universum. Und meinem
Partner ging es genauso. Nach einigen Stunden rissen wir uns mühsam
los, denn wir mussten zum Bahnhof zurück. Ich habe in meinem Leben schon
sehr viele Kirchen besichtigt, wer mich kennt weiß, dass ich an keiner
offenen Kirchentür vorbeigehen kann, aber so etwas ist mir nie vorher
und auch danach nie wieder geschehen. Was war es aber? Nur ein Gefühl,
aus der Sonne in die Kühle der Kirche zu treten? Hatte mich dort etwas
Göttliches berührt? Oder war es nur Einbildung, weil ich zuvor zu viel
darüber gelesen hatte? Ich weiß es nicht. Für mich ist und bleibt die
Kathedrale von Chartres aber etwas ganz Besonderes, ein Hort der Kraft.
Die Kathedrale von Chartres
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