Samstag, 28. Februar 2009

Wir


Tief in mir ist ein Gefühl.
Ich kenne Dich schon lange.
Spüre Dich neben mir.

Tief in Dir wohnt eine Gewissheit.
Man nennt es wohl Schicksal.
Höre Deine Stimme.

In Deiner Seele tobt ein Wirbelsturm.
Aufruhr, wildes Aufbäumen.
Sehe Deine Zweifel.

In meiner Seele ist das Meer.
Ganz ruhig und friedlich.
Spiegelt Deine Augen.

In meinem Gedanken bist Du.
Dein erster Blick am Morgen.
Noch verschlafen.

In Deinen Gedanken ist Furcht.
Wohnt Zukunft wie eine Mauer.
Spüre Deine Unsicherheit.

In meinem Herzen ist Frieden.
Sehe Deine Hände mich berühren.
Sanft und voller Liebe.

In Deinem Herzen sehe ich einen Weg.
Schmal, unbefestigt, steinig.
Vorsichtig tasten.

In meinen Gefühlen wohnt Kraft.
Gemeinsam gehoben wiegt ein Stein nicht viel.
Sehe Dich und mich.

In Deinen Gefühlen wohnt Hoffnung.
Wir gehen den Weg.
Vorsichtig und behutsam.

In meinem Inneren bist Du.
Ein Teil von mir.
Koexistenz meiner Seele.

In Deinem Inneren möchte ich sein.
Felsen in der Brandung.
Gegenwart und Zukunft.

Dienstag, 24. Februar 2009

Neulich im öffentlichen Nahverkehr


Es gibt Tage, da muss auch Frau Anais das geschützte Heim verlassen, sich 72 Stufen in die Tiefe quälen, nur um in der City Beute zu machen, sprich einzukaufen. Jetzt bin ich bekanntermaßen zwar eine begeisterte Autofahrerin, aber die Frankfurter Innenstadt schreit nach öffentlichen Verkehrsmitteln, denn die Alternative mit Blick auf das Budget heißt Einkaufen oder Parkhaus. Insbesondere, wenn das Ziel die „Kleine Markthalle“ ist, wo es wirklich ausgesuchte Leckereien zu kaufen gibt, die nicht immer ganz billig sind. Aber, was tut man nicht alles für eine ausgewogene Mahlzeit!

Also hopp aus dem Haus und in den Bus! Man wohnt ja verkehrsgünstig. Schnell einen Sitzplatz gesucht und schon geht es los. Hinter mir. Mobilfongeklimper. Eine leicht schrille weibliche Stimme: „Wos is? Ja. Ach Alda, wo bissu denn? Kommsu in die Stadt. Kommsu Hauptwache. Echt hat sie? Ey voll krass ey.“

Oh weh, denkt sich Frau Anais, da hat Aishe sich wohl mit Hassan verabredet. Verstohlen schaue ich mich also um und muss feststellen, dass Aishe nicht nur blond, also echt blond ist, sondern auch noch Bärbel heißt, wie soeben Bärbels Sitznachbarin bestätigt. „Ey Bärbel, Alda, hassu voll die Verabredung mit Klaus, oder?“, klingt es leicht angesäuert von Doro. „Ey Doro, geht dich voll garnix an, wenn ich treffe Klaus, verstehste?" Bärbel wird ein wenig zickig.

Gut, dass wir jetzt alle aussteigen müssen. Endstation. Und jetzt aber schnell, die U-Bahn kommt gleich.

Szenenwechsel

Der Platz in der U-Bahn ist schnell gefunden, Bärbel und Doro nicht in Sicht. Ich versuche, ein wenig zu entspannen und schon erklingt ein obligatorischer Mobilfonton. Diesmal eindeutig arabischer Herkunft. Schon wieder! Ich bin auf alles gefasst. Doch da erklingt eine durchaus sympathische Männerstimme in bestem Hochdeutsch: „Hier Hassan Azzis, was kann ich für Sie tun?“

Das Leben geht eben manchmal seltsame Wege. Auch bei der Sprache.

Freitag, 20. Februar 2009

Zum 100sten Geburtstag von Heinz Erhardt

Heinz Erhardt und sein Humor
brachten bei Klein-Anais hervor
die Liebe zu lust'ger Poesie
all seine Zeilen vergaß ich nie.

Sein Ritter Fips, der Kunibert,
all die Gedichte so viel wert
und lustig und mit Hintersinn,
stets und immer ein Gewinn.

So rufe ich dem Erhardt zu:
Herzlichen Glückwunsch, Du!

Donnerstag, 19. Februar 2009

Die Menschensammlerin

Charlotte sitzt wie jeden Tag am Fenster. Heute ist es trübe draußen und nur wenige Menschen sind unterwegs. Mühsam greift sie zur Teetasse. Die Beweglichkeit ihrer Arme und Hände ist seit dem letzten Schub sehr eingeschränkt. Dafür ist ihr Rollstuhl jetzt elektrisch. Nicht wirklich ein Trost.

Seit die Krankheit sie an den Rollstuhl gefesselt hat, kultiviert sie ein neues Hobby. Sie sammelt Menschen. Am Anfang war es etwas mühsam, aber mittlerweile hat sie schon einige Exemplare zusammen.

Den Postboten natürlich, der ihr schon zuwinkt, wenn er auf das Haus zugeht. Die Mutter mit den Zwillingen, die ihr ein wenig leid tut, weil der Kinderwagen so sperrig ist. Die Müllmänner, die einmal pro Woche ihren Dienst tun. Diverse Hausfrauen, die ihr wohlwollend zuwinken und er. Wenn Charlotte an ihn denkt, wird sie immer ein wenig rosig im Gesicht. Die Frau vom Pflegedienst zieht sie gerne mit ihm auf, wenn sie gute Laune hat.

Er wohnt gegenüber im Haus. Seine Wohnung hat große Fenster ohne Gardinen. Sie kann ihn also gut beobachten. Am Anfang hat sie sich ein wenig geschämt dafür. Aber sie hat es einfach nicht geschafft, ihre Blicke woanders hinzurichten, wenn er seine Wohnung betrat. Es scheint ihn auch nicht zu stören, dass sie ihm zusieht. Manchmal geht er ans Fenster und winkt zu ihr herüber. Manchmal scheint er vergessen zu haben, dass es sie gibt. Sie findet ihn so schön. So männlich. Und dann hadert sie wieder mit dem Schicksal. Ausgerechnet jetzt, da ihre Krankheit so weit fortgeschritten ist und sie, wie sie glaubt, jegliche Schönheit und Attraktivität verloren hat, jetzt begegnet sie einem solchen Mann. Das ist schon fast zynisch.

Ärgerlich wendet sie ihren Rollstuhl, um sich in der Küche neuen Tee zu brühen. Es fällt ihr wirklich immer schwerer, aber sie kämpft mit ihrem Körper, weil sie wenigstens die kleinen Dinge des Alltags noch selbst erledigen möchte. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass der Pflegedienst gleich kommen wird, um ihr das Mittagessen zuzubereiten. Sie zahlt das für teures Geld extra, aber sie kann sich nicht überwinden, die Fertigkost von „Essen auf Rädern“ zu sich zu nehmen.

Der Schlüssel raschelt im Schloss und Carola vom Pflegedienst betritt die Wohnung. Seltsam beschwingt. Charlotte wundert sich ein wenig. Carola kommt auf sie zu und flüstert „Er ist da draußen vor der Tür“. Charlottes Herz bleibt einen Moment stehen. „Er will Dich ausführen zum Essen, weil Du doch heute Geburtstag hast. Das muss er sich wohl vom letzten Jahr gemerkt haben, als soviel Besuch da war.“ Charlotte glaubt zu träumen. „Er hat einen riesigen Strauß Blumen dabei. Darf ich ihn reinlassen?“

„Natürlich!“ sagt Charlotte.

Dienstag, 17. Februar 2009

Hommage


Wenn ich an Horatio denke, meine Lieblingsgeschichte von Dir, denke ich auch automatisch an Dich. Wie sagtest Du über Dich? Blond. Groß. Exakt. Also das Gegenteil von mir. Lässig den Martini nippend und von New York City träumend, sehe ich Dich da sitzen. Ob Du den Hügel erklommen hast, den Horatio kurz vor Dir ging? Ich hoffe, Du hast ihn dort oben getroffen, ihn, nach dem Dein Herz sich immer verzehrt hat. Diesen überirdischen feinfühligen Sanftmütigen. Irgendwie wäre ich gerne mitgegangen. Aber meine Zeit ist noch nicht gekommen, obwohl es im letzten Jahr mal gar nicht so gut aussah.

Wir sind alle hier geblieben. Nach so vielen Monaten noch immer fassungslos. Ratlos. Es ist viel passiert, seit Du gegangen bist. Manchmal habe ich gedacht, was Du nun zu dem einen oder anderen Drama sagen würdest, habe Dich lachen gehört.

Manchmal habe ich gehadert, mit dem, der die Geschicke lenkt, warum ausgerechnet Du? Aber es gab natürlich keine Antwort. Und wieder höre ich Dich lachen. Dann lache ich eben mit.

Das wäre Dir sowieso lieber gewesen.

Wo Du bist ist Himmel

Mit steigendem Anspruch
sinken die Chancen.
Die Hoffnung stirbt.
Der Mut schwindet.

Des Menschen Ziel ist es,
nicht allein zu sein.
Trotzdem sind so viele einsam,
winden sich in ihrem Unglück

Schatten breiten sich aus,
Farben verblassen,
Kummer nimmt überhand,
vergiftet jedes Lachen.

Manchmal, ganz unerwartet,
erscheint da ein Lichtstrahl,
entwickelt sich zu warmer Sonne,
beleuchtet und bereichert das Leben

Die Farben sind nun schöner denn je,
die Seele entknotet sich.
Das Lachen wagt sich zaghaft hervor,
der Kummer verblasst.

Sei mir Licht und Inspiration.
Gib mir Kraft und Mut.
Ich lege dir meine Seele zu Füssen,
schenke dir Herz und Verstand.

Montag, 16. Februar 2009

An den Boxer in der roten Ecke

Das Leben kann ein hartes sein,
kaum teilst du aus, schon steckst du ein.
Rennst hinterher den neusten Moden,
verlierst darüber Geld und Boden,
den, den Du brauchst unter den Füßen.

Schreibt Dir Anais mit besten Grüßen

Donnerstag, 12. Februar 2009

Liebe?


Trunken
Versunken
in deinen Augen

Berauscht
mit allen Sinnen
sinke ich dahin

Welt steht still
Herz klopft
im Takt des deinen

Muss wohl Liebe sein

Montag, 9. Februar 2009

Von Ewigkeit zu Ewigkeit

Ich, Morgana, stehe am Rand der Klippen und schaue über das Meer. Das Rauschen ist mir so vertraut, es tröstet mich. Der Wind spielt mit meinem Haar. Ich bin alt geworden, aber noch nicht gebrechlich. Ich denke an Dich, mein Geliebter. Du bist gegangen vor langer Zeit, aber mir bist Du gegenwärtig. Im Rauschen des Meeres höre ich Deine Stimme. Im sanften Windhauch spüre ich Deine Hände. Uns war nur eine kurze Zeit vergönnt, nur wenige Jahre des Glücks. Du wurdest mir genommen, starbst durch die Hand eines Mörders. Ich konnte Dich nicht schützen, musste hilflos zusehen.

Ich habe meine Göttin, meinen Vater und das Andenken meiner Mutter für Dich verraten. Meine Strafe ist schrecklich, aber ich trage sie im Bewusstsein meiner Schuld. Viele Seelen waren mir einst anvertraut. Denn ich war die Hüterin von Avalon. Ich habe sie alle verraten, den hilfesuchenden Händen den Rücken zugedreht. Selbstsüchtig und hochmütig bin ich gewesen, habe für irdische Liebe alles auf's Spiel gesetzt und alles verloren. Avalon ist nur noch eine Sage, verschwunden in den Nebeln der Zeit. Ich muss weiterleben. Durch die Jahrhunderte bin ich gegangen, vele Kriege musste ich erleben, viele Freunde zu Grabe tragen.

Die Große Mutter hat ihr Angesicht von der Erde abgekehrt. Chaos und Wirren sind die Folge, neue Religionen wurden geschaffen. Doch die meisten Menschen glauben nur noch an den Gott des Geldes. Kriege werden geführt, im Namen dieses Gottes und Macht und Rücksichtslosigkeit beherrschen die Welt. Die Menschen sind in ihren Köpfen weit in die Zukunft gelangt. Große Erfindungen haben sie zu Göttern werden lassen, doch ihre Herzen sind zurückgekehrt in die Steinzeit, eine Zeit, in der nur die Stärksten überleben konnten. Hilflos muss ich das alles mit ansehen, wissend, dass es eine Zeit gab, in der alles anders war.

Die Kunst des Heilens ist mir geblieben, wenn mir auch sonst meine Magie genommen wurde. So wandere ich über die Erde, spende Trost und Hoffnung den Schwachen und Kranken. Und dort auf den Straßen, in den Krankenhäusern und Sterbehospitälern treffe ich manchmal Menschen, die noch vom Geist der Großen Mutter durchtränkt sind. Mildtätige und warme Menschen, die sich für andere aufopfern und ihr eigenes Ich in den Hintergrund stellen. Wenn ich diese Menschen sehe, schöpfe ich wieder Hoffnung, dass die Welt noch nicht ganz verloren ist. Jedes echte Lachen, jede echte Träne und jedes ernstgemeinte warme Wort geben mir die Kraft, mein Schicksal zu ertragen und meine Schuld zu begleichen.

Es wird Abend, die Sonne versinkt am Horizont. Ich schaue ihr zu, bis der nun glutrote Ball im Meer versunken ist. Es wird Zeit, ich muss gehen, die lebenden Menschen warten auf meine Hilfe. Doch in jedem Augenpaar, in das ich blicke, spiegeln sich deine Augen wieder, mein Geliebter. Irgendwann, wenn meine Schuld bezahlt ist, werde ich Dich wiedersehen.

(In Anlehnung an den Roman „Die Nebel von Avalon“ von Marion Zimmer Bradley)

Glück


Da ist es wieder. Dieses Ziehen im Bauch.
Dieses Jucken an der Nasenspitze.
Jetzt sag schon, he sag, du fühlst es doch auch,
wenn ich mit dir hier sitze?

Seite an Seite in unserem Garten,
umgeben von Unmengen Zwiebeln und Lauch,
sitzen wir da auf dem Baumstamm, dem harten
Jetzt sag schon, Lieber, du fühlst es doch auch?

Es kribbelt und zwirbelt und drückt in der Kehle,
es ruschelt und fuschelt und ruckt an der Seele.
Da seufzt du und legst mir die Hand auf den Bauch:
„Ja, meine Liebe, ich fühle es auch.“

Es ist ein Gefühl, so oft verkannt,
geschunden und beim falschen Namen genannt,
doch fühlst du es erst, gibt es kein Zurück.
Es ist das Gefühl und das nennt sich "Glück".

Sonntag, 8. Februar 2009

Abendstimmung


Es ist Abend.
Die Sonne versinkt lautlos im Meer.
Mich an den letzten Strahlen labend
sitze ich da, es braust der Verkehr.

Die Möwen, sie brüllen,
die Kellner, sie füllen
die Gläser der durstigen Gäste.
Der Hund kriegt nur Reste.

Ein Kind heult, es will nicht ins Bett.
Der Vater findet die Kellnerin nett
und Mutter zieht ab mit dem Kind.
Wie rücksichtslos doch Männer sind!

Irgendwo dudelt Musik.
Ein Senior erzählt was vom Krieg
und dass früher alles besser war,
Oma löffelt derweil Tartar.

Sie hat gehört, das sei gut fürs Blut.
Bei dieser Hitze, nun sie hat Mut.
Morgen kommt der Doktor dann,
weil sie es heut nicht lassen kann.

Ein letztes Boot fährt in den Hafen ein.
Nach Möwenschar muss es ein Fischerboot sein.
Die Blonde vom Strand packt frustriert ihre Sachen,
wieder kein Date, nein das ist nicht zum Lachen.

Von meinem Blick-aufs-Meer-Balkon,
sah ich so manche Dinge schon.
Menschen und Tiere und raue See,
so sitze ich abends und schlürf meinen Tee.

Und wie ich so sitze und denke,
was ich wem nach dem Urlaub so schenke,
kommst du mal eben und gibst mir `nen Kuss.
Und das ist auch des Gedichtchens Schluss.

Das Huhn

Es war einmal ein dummes Huhn,
das wollte etwas Neues tun
So lief es flugs zum Hahn im Hof
und sagte: "Federn, die sind doof."

Es ging zum Bauern in die Stube
und grub sich selber eine Grube.
Der Bauer schwups das Huhn gerupft.
Jetzt läuft es nackt, aber getupft.

Die Hühner auf dem Hof, die lachen.
Der Hahn spricht: Was sind das für Sachen?
Das dumme Huhn friert still im Wind.
Wie grausam doch die andern sind.

Und die Moral von der Geschicht:
So unnütz sind die Federn nicht.
Nur Tupfen auf der Haut, der nackten,
schaffen oft ungenehme Fakten.

Schau, was mit Herz und Hirn geschieht,
wenn man nur noch die Liebe sieht.
Nur einmal blind zuviel vertraut,
schon stehst du da mit Gänsehaut.

Samstag, 7. Februar 2009

Der Banker


Er stand lange Zeit am Fenster. Seine Augen blickten, ohne wirklich zu sehen, auf eine schäbige Hausfassade. Die Luft des heruntergekommenen Hotelzimmers war geschwängert von Nikotin und einem durchdringenden Kohlgeruch. Die Tabletten lagen seit zwei Tagen auf seinem Nachttisch. Seit dieser Zeit hatte er das schäbige Zimmer nicht verlassen. Immer und immer wieder hatte er die Packung in die Hand genommen und wieder beiseite gelegt. Verzweifelt wegen seiner eigenen Feigheit. Hoffnungslos wegen seiner ausweglosen Situation. Seit zwei Tagen hatte er nicht geschlafen. Nicht gegessen. Nur getrunken. Bier und Whiskey. Er war am Ende und konnte es dennoch nicht zum Ende bringen.

Wieder und wieder gingen die Ereignisse der letzten Jahre durch seinen Kopf. Er, der gut situierte Banker mit einem untadeligen Ruf. Dem Haus auf dem Lande. Ehefrau, zwei Kinder, Hauswirtschafterin. Tennisklub, Golfklub. Urlaub in der Karibik. Dann eines Tages der Schock. Seine Stelle wurde wegrationalisiert, er mit einer guten Abfindung entlassen. Es folgte Arbeitslosigkeit. Die ersten Monate genoss er noch, sah sie als eine Art Urlaub, danach wurde er zusehends unzufriedener, denn es war kein neuer Job in Sicht. Er ging seiner Frau und den Kindern auf die Nerven. Sie waren es nicht gewohnt, ihn ständig um sich zu haben. Er war es nicht gewohnt, zu Hause zu sein. Die Hauswirtschafterin mußte entlassen werden, denn langsam wurde das Geld knapp. Seine Frau murrte zwar, heuchelte aber Verständnis. Die Spannungen wuchsen. Eines Tages kam sie, nach fast 20 Jahren Ehe, und eröffnete ihm, sie wolle sich scheiden lassen. Sie habe sich neu verliebt. Er war fassungslos.

Die Schraube drehte sich weiter. Umzug in eine kleine Wohnung. Einsamkeit. Er griff immer mehr zum Alkohol, um den Schmerz in sich zu betäuben. Das Gefühl der Hilflosigkeit. Die innere Wut, die er nicht herauslassen konnte. Er litt still. Und trank. Mit der Zeit verprellte er seine Kinder und seine Freunde. Nach und nach. Die Scheidung wurde ausgesprochen und was ihm blieb war nicht mehr sehr viel. Er ließ sich immer mehr gehen. Wusch sich kaum noch, kümmerte sich nicht mehr um seine Finanzen. Und das ihm, dem Banker. Eines Tages stand der Gerichtsvollzieher vor seiner Tür. Und wurde fortan zu seinem einzigen und regelmäßigen Besucher. Seine Kinder kamen mehrmals, versuchten ihn zu einer Alkoholtherapie zu überreden. Er wies ihnen jedes Mal, höflich wie immer, aber bestimmt die Tür. Er zahlte seine Miete nicht mehr. Vor zwei Tagen dann die Zwangsräumung.

Und jetzt stand er hier in dieser billigen Pension. Aß nicht, schlief nicht und war zu feige, die Schlaftabletten zu nehmen, die er sich besorgt hatte, falls es einmal soweit kommen sollte. Plötzlich hielt er es nicht mehr aus. Er beschloß einen Spaziergang zu machen. Etwas, das er seit zwei Jahren nicht mehr getan hatte. Er verließ die Pension und wollte die Straße überqueren, als der Wagen um die Ecke geschossen kam und ihn erfasste. Sein Körper wurde über das Autodach geschleudert. Der Aufprall war hart. Er starb nicht sofort. Stimmen umwaberten ihn. Das Heulen von Sirenen. Das Weinen des jungen Mannes, der den Wagen gefahren hatte. Warum weinte der Junge? Er hatte ihm doch eine unangenehme Aufgabe abgenommen. Dann Dunkelheit. Er verspürte keinen Schmerz mehr. Endlich. Als der Notarzt eintraf, war er schon tot. Die Retter wunderten sich über den zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht.

Der junge Fahrer weinte noch immer. Stand unter Schock. Ja, er war zu schnell gefahren. Ein Moment der Unachtsamkeit, der diesem Mann das Leben gekostet hatte. Er machte sich lange Jahre Vorwürfe. Konnte nicht wissen und würde nie erfahren, welchen Gefallen er dem Mann getan hatte.

Morgennebel


Ich bin früh auf heute morgen. Sitze im Auto, fahre der aufgehenden Sonne entgegen. Eigentlich habe ich einen wichtigen Termin. Im Kopf bereite ich mich auf das anstehende Gespräch vor. Taktiere und sinniere.

Plötzlich erscheint da das erste Licht des Tages. Ich bin noch auf der Landstraße auf dem Weg zur Autobahn. Und muss einfach anhalten. Was für ein Moment! Ich steige aus dem Wagen und stehe da, ganz still, wie die Natur um mich herum. Es fröstelt mich, aber ich kann meine Augen nicht von dem Schauspiel lassen, das sich mir in den nächsten Minuten zeigt. Langsam arbeitet sich die Sonne am Horizont hoch. Die ersten Vögel fangen an zu zwitschern. Der Morgennebel liegt wie ein feiner Schleier auf den Wiesen und der Himmel färbt sich leicht rosa. Ich halte den Atem an. Vergessen sind Termin und Geschäft. Ich kann nur dastehen und schauen. Ich fühle mich eins mit der mich umgebenden Natur. Welche Schönheit offenbart sich da.

Aus dem Morgennebel schälen sich Konturen. Eine Bache überquert mit ihren Frischlingen die Straße. Ich wage nicht zu atmen. Unter Gewusel verschwinden die Tiere im nahen Wald. Es wird nun immer heller. Die Luft erscheint so klar und rein. Der Moment so kostbar.

Mühsam reiße ich mich los und steige wieder in mein Auto. Es widerstrebt mir, den Motor anzulassen und die Stille der Natur zu stören. Aber es hilft nichts, ich muss. Ich fahre weiter auf die Autobahn zu meinem Termin. Geschäftliches, Gerede und Verhandlungen. Doch irgendwie bin ich nicht recht bei der Sache. Ich fühle mich plötzlich so fehl am Platz hier, sehne mich zurück auf den einsamen Parkplatz an der Landstraße.

Ich habe einen Teil dieses kurzen Moments mit mir genommen. Etwas Wichtiges erfahren, das weiß ich. Auch wenn ich es nicht benennen kann.

Auf der Rückfahrt hat der Parkplatz seinen Zauber verloren. Autos brausen auf der Landstraße, der Nebel hat sich verflüchtigt und die herbstliche Wiese wirkt wenig einladend. Ich denke an die Bache und wie sie sich wohl fühlen muss, bei all dem Autolärm.

Zuhause angekommen, setze ich mich ganz still in die Ecke meines Sofas. Mir wird klar, heute Morgen hat mich etwas berührt, etwas ganz Besonderes, der Zauber der Natur. Der Zauber der Stille und des Morgennebels. Und etwas davon ist haften geblieben. Streichelt meine Seele und gibt mir Kraft.

Ob es doch einen Gott gibt? Ich weiß es nicht. Aber ich denke darüber nach.

Sonntag, 1. Februar 2009

Frankfurt

Manchmal muss man Besuch bekommen, um selbst wieder nachvollziehen zu können, warum Frankfurt meine Wahlheimat geworden ist. Diese großartige Stadt, die so voller Gegensätze ist. Das Bankenviertel mit dieser wahnsinnigen Skyline

gleich neben ausgedehnten Feldern und Wiesen.

Die Museumsvielfalt. Die alte Oper.

Der Flughafen. Multikulturell wie sonst kaum irgendwo anders. Das war schon selbstverständlich für mich geworden.

Auch für diese wiedergewonnene Erkenntnis herzliche Grüße nach Berlin!