Samstag, 7. Februar 2009

Der Banker


Er stand lange Zeit am Fenster. Seine Augen blickten, ohne wirklich zu sehen, auf eine schäbige Hausfassade. Die Luft des heruntergekommenen Hotelzimmers war geschwängert von Nikotin und einem durchdringenden Kohlgeruch. Die Tabletten lagen seit zwei Tagen auf seinem Nachttisch. Seit dieser Zeit hatte er das schäbige Zimmer nicht verlassen. Immer und immer wieder hatte er die Packung in die Hand genommen und wieder beiseite gelegt. Verzweifelt wegen seiner eigenen Feigheit. Hoffnungslos wegen seiner ausweglosen Situation. Seit zwei Tagen hatte er nicht geschlafen. Nicht gegessen. Nur getrunken. Bier und Whiskey. Er war am Ende und konnte es dennoch nicht zum Ende bringen.

Wieder und wieder gingen die Ereignisse der letzten Jahre durch seinen Kopf. Er, der gut situierte Banker mit einem untadeligen Ruf. Dem Haus auf dem Lande. Ehefrau, zwei Kinder, Hauswirtschafterin. Tennisklub, Golfklub. Urlaub in der Karibik. Dann eines Tages der Schock. Seine Stelle wurde wegrationalisiert, er mit einer guten Abfindung entlassen. Es folgte Arbeitslosigkeit. Die ersten Monate genoss er noch, sah sie als eine Art Urlaub, danach wurde er zusehends unzufriedener, denn es war kein neuer Job in Sicht. Er ging seiner Frau und den Kindern auf die Nerven. Sie waren es nicht gewohnt, ihn ständig um sich zu haben. Er war es nicht gewohnt, zu Hause zu sein. Die Hauswirtschafterin mußte entlassen werden, denn langsam wurde das Geld knapp. Seine Frau murrte zwar, heuchelte aber Verständnis. Die Spannungen wuchsen. Eines Tages kam sie, nach fast 20 Jahren Ehe, und eröffnete ihm, sie wolle sich scheiden lassen. Sie habe sich neu verliebt. Er war fassungslos.

Die Schraube drehte sich weiter. Umzug in eine kleine Wohnung. Einsamkeit. Er griff immer mehr zum Alkohol, um den Schmerz in sich zu betäuben. Das Gefühl der Hilflosigkeit. Die innere Wut, die er nicht herauslassen konnte. Er litt still. Und trank. Mit der Zeit verprellte er seine Kinder und seine Freunde. Nach und nach. Die Scheidung wurde ausgesprochen und was ihm blieb war nicht mehr sehr viel. Er ließ sich immer mehr gehen. Wusch sich kaum noch, kümmerte sich nicht mehr um seine Finanzen. Und das ihm, dem Banker. Eines Tages stand der Gerichtsvollzieher vor seiner Tür. Und wurde fortan zu seinem einzigen und regelmäßigen Besucher. Seine Kinder kamen mehrmals, versuchten ihn zu einer Alkoholtherapie zu überreden. Er wies ihnen jedes Mal, höflich wie immer, aber bestimmt die Tür. Er zahlte seine Miete nicht mehr. Vor zwei Tagen dann die Zwangsräumung.

Und jetzt stand er hier in dieser billigen Pension. Aß nicht, schlief nicht und war zu feige, die Schlaftabletten zu nehmen, die er sich besorgt hatte, falls es einmal soweit kommen sollte. Plötzlich hielt er es nicht mehr aus. Er beschloß einen Spaziergang zu machen. Etwas, das er seit zwei Jahren nicht mehr getan hatte. Er verließ die Pension und wollte die Straße überqueren, als der Wagen um die Ecke geschossen kam und ihn erfasste. Sein Körper wurde über das Autodach geschleudert. Der Aufprall war hart. Er starb nicht sofort. Stimmen umwaberten ihn. Das Heulen von Sirenen. Das Weinen des jungen Mannes, der den Wagen gefahren hatte. Warum weinte der Junge? Er hatte ihm doch eine unangenehme Aufgabe abgenommen. Dann Dunkelheit. Er verspürte keinen Schmerz mehr. Endlich. Als der Notarzt eintraf, war er schon tot. Die Retter wunderten sich über den zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht.

Der junge Fahrer weinte noch immer. Stand unter Schock. Ja, er war zu schnell gefahren. Ein Moment der Unachtsamkeit, der diesem Mann das Leben gekostet hatte. Er machte sich lange Jahre Vorwürfe. Konnte nicht wissen und würde nie erfahren, welchen Gefallen er dem Mann getan hatte.

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