Dienstag, 12. Juni 2012

An Tagen, wie diesen…


Dieser Ohrwurm geht mir nicht mehr aus dem Kopf. „An Tagen, wie diesen“ von den Toten Hosen. Es wird ja auch im Radio ständig gedudelt und es macht gute Laune. Besonders morgens, wenn man noch verschlafen ist oder unter der Dusche, man kann das so schön mitgröhlen. Die Hosen wissen schon, wie man kommerzielle Musik pünktlich zur EM macht, sehr zum Verdruss meines Nachbarn. Aber da muss er durch. Wahrscheinlich wird dieser Song das „We are the Champions“ von Queen sehr bald aus den Stadien dieser Nation vertreiben. Mir soll es recht sein.
Mit diesem Song im Kopf begebe ich mich also ins Büro und werde sofort angesprochen: „Hast Du schon getippt?“. Ja, in Deutschland ist das Tipp-Fieber ausgebrochen. Jeder hat schon irgendwo getippt, sogar Fußballmuffel haben getippt – nur ich bin ein Dinosaurier – nein, ich habe nicht getippt. Ich bin der Ansicht, mein Tippen ist meiner Tastatur vorbehalten. Aber man lässt nicht locker. Ich öffne meine E-Mails und da steht es wieder: Haben Sie schon getippt? Es verfolgt mich. Für Sekunden denke ich darüber nach, es einfach zu tun. Schon zuckt die Hand. Doch nein! Ich bleibe standhaft. Ich tippe nicht. Na gut, heimlich mit mir selber vor einem Spiel tippe ich schon. Und freue mich diebisch, wenn ich gewonnen habe. Das muss aber bitte unter uns bleiben. Ich habe einen Ruf zu verlieren. Den „Ach-ja-Du-tippst-ja-nicht“-Ruf.
Ein bisschen werde ich deshalb schon schräg angesehen. Man bemüht sich ja, es mir nicht so zu zeigen, aber leicht pikiert ist man schon. Immer wieder entspinnen sich Dialoge, wie der folgende:

„Machst Du das aus Glaubensgründen?“
„Nein, ich habe einfach keine Lust dazu.“
„Ach komm, es ist doch nur ein Spaß!“
„Ich möchte aber nicht.“
„Du musst Dich nicht schämen, wenn Du keine Ahnung hast, das haben die meisten von uns nicht.“
„Jetzt, lass mich doch mal, ich will nun mal nicht.“
Schweigen.
„Ist es wegen dem Geld?“
„Neihein!“
„Also, ich versteh‘ Dich nicht!“
Spricht‘s und rauscht ab.

Ich für meinen Teil greife zum Kopfhörer: „An Tagen wie diesen…“ dröhnt es.
Auf dem Heimweg noch schnell in den Supermarkt meines Vertrauens. Ich tippe zwar nicht, aber essen muss ich trotzdem. An der Kasse drückt man mir drei silberne Tütchen in die Hand. Kondome? Nein, es sind Fußballbildchen. Eine kleine Hand zupft an mir und ich schaue in die braunen Augen eines etwa zehnjährigen Jungen. „Brauchen Sie die?“ fragt er aufgeregt. „Nein.“ antworte ich und drücke sie ihm in die Hand. Jubelnd läuft er zu seiner Mutter, die eine Kasse weiter steht. Wir lächeln uns zu.
Im Auto im Radio läuft es wieder, dieses Lied und ich gröhle mit. Irgendwie macht diese EM Spaß. Auch ohne zu tippen.

Auch erschienen hier beim Freitag.

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